“Laufen bei euch alle so rum?”, fragt mich der angetrunkene Filmschaffende aus Tschechien, mit dem ich fünf Minuten zuvor auf dem Gang zum Pissoir Bekanntschaft geschlossen habe. Veranlassung zu dieser belustigten Bemerkung mit leicht despektierlichem Unterton gab ihm des extravagante Outfit eines Tanzwütigen: Bunter Bademantel trifft auf neonfarbene Leggings, Hawaiihemd und Stirnband. Bad Taste als Stilmittel. Die Entgleisungen der 80er und 90er mit einem Schuss Hippie-Chic in die Gegenwart gebeamt.
Wahrscheinlich ist es die Einsamkeit am Strand von Borsh, die mich nach Dhermï geführt hat. Der berühmt-berüchtigte Party-Ort an der albanischen Riviera bietet eine willkommene Abwechslung zu den melancholischen Sonnenuntergängen. Es ruft ein 5-tägiges Festival für elektronische Musik, organisiert von einem Kollektiv aus Wien namens WunderWandel.
WunderWandel Festival taufen die Veranstalterinnen den Event, dessen Besucherzahl aufgrund der Pandemie kurzerhand auf 150 bis 200 Leute beschränkt wird. Auf zwei Bühnen laden die Künstler*innen an den Plattentellern zum Tanz; einer fancy pancy Pool-Bühne vor einem halb fertig gebauten Luxus-Hotel und einer karibisch anmutenden Beach-Stage namens Rambazamba.
Disco und House treffen beim Wunderwandel auf Techno und alles Tanzbare dazwischen. Das Festival findet zum ersten Mal statt. Ort und Konzept werden getestet, um allenfalls im nächsten Jahr zu einem grösseren Festival zu wachsen. Die Stimmung ist ausgelassen und friedlich, voller Farben und Glückshormonen. Man kennt sich. Die meisten Leute sind aus Wien angereist, einige aus Berlin; wenige Albanien-Touristen ohne Bezug zum FEstival(wie meine neuen Freunde aus Prag) und ein paar Albaner*innen haben den Weg über die Tageskasse ans Festival gefunden.
Von der in Albanien geltenden Ausgangssperre nach 23 Uhr lässt sich niemand die Stimmung vermiesen. Das Programm wird kurzerhand auf den ganzen Tag verteilt. Die ersten DJs eröffnen das Festival bei Sonnenaufgang, eine Stunde vor Mitternacht ist Schluss. Eine Art erweiterter Day-Dance zwischen Palmen. Wer eine kurze Auszeit sucht, misst sich an den Wunder Games in Disziplinen wie Synchronschwimmen, entdeckt im Workshop-Bereich seine künstlerische Ader oder befreit anlässlich des World Clean Up Days an der Beach Butt Challenge den Strand von Zigarettenstummeln.
Während viele Veranstalter*innen an Festivals in Kroatien und Albanien wenig Rücksicht darauf nehmen, was sie an den Festivalorten verursachen, wählte das WunderWandel-Team bewusst einen nachhaltigeren Ansatz. Die Bars werden von lokalen Anbietern geführt, die Gäste direkt in den Hotels vor Ort untergebracht. Sogar das Sicherheitspersonal ist albanisch. Die Tageseintritte sind im Gegensatz zum Festivalticket auch für die “Locals” erschwinglich. Einwegbecher sucht man am Festival vergeblich und am Eingang werden Taschenaschenbecher verteilt.
In Dhermï ist der bewusste Umgang mit Abfall, dessen Entsorgung oder gar ein Versuch ihn zu vermeiden eine Sisyphos-Arbeit. Müll-Trennung macht wenig Sinn, wenn der einmal getrennte Abfall später doch wieder auf derselben Deponie landet. Als das Team im Vorfeld des Festivals den Strand reinigt, stösst die Aktion zuerst auf wenig Verständnis. Der Strand sei doch bereits sauber. Als sie nach der Putzaktion mit sechs, sieben vollen Müllsäcken zurückkehrten, sei das Staunen gross gewesen, erklärt mir eine der Veranstalter*innen.
Am Festival selbst gelingt der Versuch, Strohhalme und Glitzer zu vermeiden zumindest halbwegs. Teile des Barpersonals scheinen auf das Accessoire im Glas jedoch ebensowenig verzichten zu wollen, wie manche Partygänger*in auf ihren glänzenden Look. Sympathisch, wie in der österreichisch-albanischen Zusammenarbeit bei der Dekoration zwei gegensätzliche Ästhetik-Vorstellungen aufeinander prallen. Die von den Albanern eingerichtete Bier-Bar mit Red-Bull-Sonnenschirmen, grellem Licht und Elbar-Werbeflaggen auf der einen Seite. Die bunt geschmückten und dekorierten Bühnen und Strandliegen der Österreicher*innen auf der anderen.
Auf der Tanzfläche spielt der DJ mit der Spannung der Menge. Er lässt die Tiefen erblassen und die Höhen erklingen. Bis der Bass einschlägt und alle tanzen. Die perfekt durchgestylte Albanerin im Abendkleid mit schmucker Designer-Handtasche nippt dazu am Strohhalm in ihrem Longdrink. Neben ihr streicht sich der Österreicher im Big-Lebowsky-Look durch den Glitzer im Haar. Ihre schwitzenden Körper bewegen sich synchron im Takt der Musik. Bis pünktlich um elf Uhr die Musik verstummt.
Weiterführende Links
Webseite des Wunderwandel Festivals in Albanien