(Berat, Oktober 2021) Sein schlechter Ruf liefert Stoff für Hollywoodfilme. Seine Annäherungsversuche blockieren verschiedene EU-Mitgliedstaaten seit Jahren mit Vetos. Doch das “letzte Geheimnis des Kontinents” zeigt sich Besucher*innen gerne von seiner Sonnenseite. Auf Entdeckungsreise in Albanien, einem bis 1990 völlig isolierten Land, wo Vorurteil und Erlebtes oft weit auseinander klaffen.
Als ich im Hafen von Durres ein erstes Mal einen Fuss auf albanischen Boden setze, ist das Land für mich ein unbeschriebenes Blatt. Mein Vor-Wissen zu Albanien? Minim. Mein persönlicher Bezug? Ein Album mit dem Titel “At Least Wave Your Handkerchief At Me” (eignet sich hervorragend als Hintergrundmusik für diese Lektüre). Die herzzerreissend melancholische Musik ist Grund genug, Albanien zu bereisen, doch mein Vorwand ein anderer: Die albanischen Riviera als Zwischenstation einer längeren Reise. Ein Ort, um offene Projekte abzuschliessen und weiterzuziehen. Heute frage ich mich, ob diese Haltung und dieses Unwissen nicht symptomatisch dafür sind, wie dieses Land seit vielen Jahren behandelt wird.
Es ist mittlerweile ein Monat vergangen und ich bin immer noch hier. Das Meer habe ich seit zwei Wochen nicht mehr gesehen. Zu viel gibt es abseits der Traumstrände zu entdecken. Mit jedem Tag lerne ich mehr über Albanien, seine Menschen und die faszinierende Geschichte, die sie teilen. Aus dem Ort, wo ich Projekte abschliessen will, ist ein eigenes Projekt geworden: Meine Gedanken, Beobachtungen und Erlebnisse in Texten und Bildern festzuhalten. Das Elixier davon, leicht gekürzt, gewürzt und zensiert, teile ich auf diesen Seiten mit der Welt. Für meine Familie und meine Freunde, für Albanien-interessierte Menschen im Allgemeinen und Leute, die einmal selbst das Land bereisen möchten. Aber auch für mich selbst. Als Erinnerung an eine ganz besondere Zeit, um das Gelernte zu verfestigen und das Erlebte zu reflektieren. Und nicht zuletzt, um deine Aufmerksamkeit für ein paar Augenblicke auf einen Ort und seine Menschen zu lenken, der bei uns wenig Beachtung findet.
Für Menschen, die im Westen aufgewachsen sind, ist Albanien ein fremd anmutendes Land. Es sind in erster Linie Schlagzeilen zu Korruption, Menschen- oder Drogenhandel oder Blutfehden, die unser Bild von Albanien prägen. Vermischt wird dieses Bild in der Schweiz vielerorts mit dem xenophoben Feindbild des “pöbelnden Jugos”. as viele nicht wissen? Von den Albanisch-Sprechenden in der Schweiz stammt nur eine verschwindend kleine Minderheit aus Albanien selbst. Der Grossteil kommt aus Kosovo oder Nordmazedonien. Ausserdem war Albanien nie Teil Jugoslawiens, sondern bis 1990/91 eine isolierte Diktatur im Stile Nordkoreas. Die Ausübung von Religion und Privatbesitz standen unter Strafe, tausende Menschen wurden verhaftet, gefoltert und umgebracht. Das Land war völlig isoliert. Die offenkundigsten Zeugen der kommunistischen Zeit sind hunderttausende von Bunkern, die der paranoide Diktator Enver Hoxha bauen liess und die wie Pilze im ganzen Land aus dem Boden spriessen.
Die Balkankriege, Besatzungen durch Osmanen, Griechen, Deutsche oder Italiener, die kommunistische Zeit oder der Lotterieaufstand, der mit dem Zusammenbruch der staatlichen Strukturen in den späten 90er Jahren einherging - all diese Ereignisse prägen das Land bis heute. Sie sprechen nicht nur aus den Ruinen, den Museen, der Architektur, den Sprachen und den Religionsgemeinschaften, sondern spiegeln sich in den alltäglichen Begegnungen mit den Menschen. Einige davon versuche ich hier festzuhalten. Dabei weiss ich nicht so recht, ob sich Albanien trotz oder gerade wegen seiner langen Geschichte an Unterdrückung und Erniedrigung zu einem Land entwickelt hat, dass ich als einen der gastfreundlichsten und sichersten Orte erlebe, die ich in meinem Leben bereist habe.
Die Tiefe im Alltäglichen
Manch alltägliche Anekdote wirkt auf den ersten Blick belanglos, enthält nicht selten wertende bis deplacierten Aussagen verschiedener Protagonisten. Doch sind es nicht gerade diese Geschichten, die in Erinnerung bleiben und einem helfen, ein Land und seine Menschen besser zu verstehen? Wer tiefer in gewisse Themen eintauchen möchte oder Albanien selbst bereisen will, findet weiterführenden Links zu Orten und Themen. Oder berauscht sich ob der Kraft der Bilder.
Inhaltsverzeichnis
Meine Texte und Bilder aus Albanien habe ich in verschiedene Kapitel gegliedert, die in chronologischer Reihenfolge von meiner Reise erzählen. Manchen Orten widme ich ganze Kapitel, während ich an anderer Stelle längere Reiseabschnitte zusammenfasse. Steht an einer Stelle die Ästhetik von Natur- und Landschaft im Vordergrund, treten andernorts die Geschichten der Orte und Menschen stärker in den Fokus. Die Liste an Kapiteln wird laufend erweitert:
Teil: Das letzte Corona (von Bern über Mailand und Bari nach Durres und weiter bis Borsh)
Teil: Von österreichischen Bademänteln und albanischen Abendkleidern (Dhermï)
Teil: Die grosse Baustelle im Paradies (Ksamil und Blue Eye)
Teil: Gjirokaster
Teil: Korca und Ohrid-See
Teil: Die Stadt der tausend Fenster (Berat)
Teil: Die Ölfelder von Kuçova
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Weiterführende Links, Literatur und Videos:
Albanien.ch
Online-Informationsplattform zu Albanien, die seit 1993 existiert, mit vielen Reisetipps, Hintergrundinfos und Beiträgen zu Land und Leuten. Ein Highlight ist das rege genutzte Forum mit aktuellen Infos und Diskussionen zu neuen Strassen, Events, Musik, Sprache und Kultur.
Exit.al
Albanische News-Plattform mit Artikeln in englischer Sprache.
Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg: Infoportal östliches Europa - EU-Beitritt Albanien
Informationen zur Entwicklung im Beitrittsprozess und zum aktueller Stand der Beitrittskandidatur.
Miranda Vickers (2014): The Albanians. A Modern History.
Interessante und spannend geschriebene Einführung in die Geschichte Albaniens.
Lea Ypi (2021): Free. Coming of Age at the End of History.
Sie ist Professorin in “Political Theory” an der London School of Economics und hat das Regmine von Enver Hoxha, dessen Zusammenbruch und die turbulenten 90er Jahre am eigenen Leib miterlebt. In ihrem neusten Buch schreibt sie über diese traumatischen Erfahrungen, wie sie in einem Interview mit dem britischen Guardian erzählt.
ZDF Info Doku (2020): Gegen den Rest der Welt: Albaniens einzigartige Bunkerlandschaft
Claudia Pöchlauer (?): Albanien - Traum und Wirklichkeit.
Der Film erzählt die Geschichte von MJAFT”, einer Jugendorganisation und NGO, die 2002 gegründet wurde, um Albaner*innen für zivilgesellschaftliches Engagement zu bewegen. Interessante Randnotiz: die “jungen Wilden” von damals bekleiden heute hohe politische Posten. So auch der porträtierte Aktivist, Erion Veliaj. Er ist Mitglied im Parteivorstand der Sozialistischen Partei Albaniens und seit 2015 Bürgermeister von Tirana